Seit nunmehr einem Jahr beobachten wir in Deutschland andauernde Rekordwerte in Umfragen für die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD). Laut aktuellen Umfragen käme die Partei, wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, auf rund 17 Prozent der Stimmen. Verglichen mit ihrem Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen 2021 ist dies ein massiver Stimmengewinn und ein historisches Ergebnis für eine rechtspopulistische Partei in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Ursachen für den Rechtsruck in Deutschland werden seit Aufkommen der AfD diskutiert: Wieso findet eine rechtspopulistische Partei so plötzlich in so breiten Teilen der Bevölkerung Zuspruch? Wer wählt diese eigentlich?
Dieses Jahr gewinnt die Diskussion angesichts der Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an besonderer Popularität: In Thüringen konnte die AfD am ersten Septemberwochenende als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorgehen, in Sachsen liegt sie mit rund 30 Prozent der Stimmen nur einen Prozentpunkt hinter der CDU. In Brandenburg wird sie aller Voraussicht nach ähnliche Erfolge verzeichnen können.
Allerdings ist die Debatte um den Aufstieg der AfD und deren besondere Stärke in den ostdeutschen Bundesländern häufig von Vereinfachungen und Klischees geprägt – Klischees über das vermeintliche Wählerklientel der AfD, Klischees über Ostdeutschland. Es hat sich in ein stereotypes Bild des AfD-Wählers – männlich, etwas älter, schlechte Bildung, unterdurchschnittliches Einkommen, wohnhaft in eher ländlichen Regionen – herausgebildet. AfD-Wähler seien die Modernisierungsverlierer, die sozial und ökonomisch Abgehängten, die Arbeiter. Respektive werden diese Eigenschaften auf ganz Ostdeutschland übertragen, denn die AfD sei ein Phänomen unter und Problem von Ostdeutschen. Oft genug wird hier zusätzlich die Erzählung der defizitär aufgearbeiteten diktatorischen DDR-Vergangenheit und der nicht ausgebildeten demokratischen politischen Kultur und Bildung unter Ostdeutschen bemüht.
Solche Erzählungen schüren Ressentiments gegen Bevölkerungsgruppen, verhärten die Fronten, externalisieren das Problem, lenken von den Wahlerfolgen der AfD im Westen und unter wohlhabenden Akademikern ab, haben zum Teil eine sehr geringe Erklärungskraft. Um es kurz zu machen: Sie sind nicht besonders hilfreich.
Wer den Wahlerfolgen der AfD etwas entgegensetzen will, muss verstehen, weshalb sie wirklich gewählt wird. Eine differenzierte und nuancierte Betrachtung der Ursachen ist notwendig.
Die diesjährige Ausgabe der Studienreihe „Wie wir wirklich leben“ soll vereinfachenden Annahmen über den Zusammenhang bestimmter Faktoren mit politischen Meinungen, wie sie dem Bild von AfD-Wählern zugrunde liegen, überprüfen und differenziertere Kausalitäten aufzeigen. Die Studie fokussiert sich dabei auf ökonomische Faktoren und deren Einfluss auf politische Meinungen. Einkommen und sozialer Stellung wird nämlich nicht nur im Kontext der AfD eine besondere Bedeutung für politische Meinung zugeschrieben. Auch Bilder über die stereotype Wählerschaft der Union, SPD, Grünen und FDP sind von Annahmen über deren Einkommen und soziale Stellung geprägt.
Welchen Einfluss haben also ökonomische Faktoren auf politische Einstellungen? Kann man beispielsweise tatsächlich sagen, dass einkommensschwächere Menschen stärker zu rechten Einstellungen, also zu nationalistischen, anti-liberalen und fremdenfeindlichen Einstellungen tendieren? Oder lassen sich solche Behauptungen empirisch nicht halten?